Die Umweltverschmutzung der DDR ist Geschichte – doch nicht überall. Scrolle von der Luft bis in den Boden und erlebe, wo unser Handeln neue und oftmals noch größere Umweltprobleme erzeugt.
Umweltverschmutzung gehörte zum Alltag der DDR wie Trabis und Warteschlangen. Die Menschen konnten sie täglich sehen oder zumindest riechen. Allein vier von zehn Ostdeutschen lebten in Gegenden, in denen die Luft dreckiger war als es damalige Grenzwerte erlaubten.
Die Region um Bitterfeld wurde intern als unbewohnbar für Kinder eingestuft, ohne die Eltern zu informieren. Bitterfeld selbst galt im Volksmund als schmutzigste Stadt Europas, Mölbis bei Leipzig als das dreckigste Dorf.
Es war vor allem hochgiftiges Schwefeldioxid aus Braunkohlekraftwerken, Industrieabgasen und privaten Kohleöfen, das die Luft belastete. Zum Vergleich: Beim berüchtigten London-Smog 1952 mit mehreren Todesopfern zeigten die Messstationen 3.580 μg/m³ an. Der Smog vom Januar 1985 erreichte in Leipzig Werte bis zu 4.999 μg/m³ - mehr konnten die Messgeräte nicht anzeigen.
Das war 1989 die Schwefeldioxid-Belastung
in Bitterfeld:
272 Mikrogramm je Kubikmeter
(der Tagesgrenzwert liegt heute bei 125 μg/m³)
Das ist heute die Schwefeldioxid-Belastung in undefined:
undefined Mikrogramm je Kubikmeter
Im Drop-Down-Menü können Sie die aktuellen Tages- und Jahresmittelwerte verschiedener Messstationen vergleichen.
Nirgends in Europa war der Schwefeldioxid-Ausstoß pro Kopf höher als in der DDR der 80er Jahre. Die mittlere Belastung eines Menschen in Ostdeutschland war 12-mal so hoch wie in Westdeutschland.
Nach 1990 nahm diese Belastung der Luft rapide ab. Das lag allerdings auch daran, dass nach der Deutschen Einheit massenhaft Fabriken und Kraftwerke stillgelegt wurden, die übrigen wurden immerhin modernisiert. Doch die Braunkohle spielt noch immer eine große Rolle, weil es hier große Vorkommen gibt. Es ist nicht mehr Schwefeldioxid, sondern vor allem CO2
, das von den modernisierten Kraftwerken in die Luft geblasen wird und zum Klimawandel beträgt.
Veränderungen in Luft und Klima spürt besonders der Wald. Bäume nehmen Bestandteile aus Luft, Gewässern und Böden auf. Sie sind der Gradmesser für Umweltgifte und Klimawandel.
Wegen der extremen Luftbelastung der 80er Jahre gab es in der gesamten DDR starke Waldschäden – ein Problem, das es auch in Westdeutschland gab, das aber mit neuen Umweltauflagen und verbesserter Luft im vereinigten Deutschland zunächst gelöst schien.
1991 zeigte noch jeder dritte Baum im Osten deutliche Schäden, zehn Jahre später nur noch jeder sechste. Den ostdeutschen Wäldern ging es bald sogar besser als den westdeutschen.
Doch der Klimawandel macht das Erstarken der Wälder zunichte und richtet mittlerweile größeren Schaden an als die DDR je vermochte. Zudem sind viele ostdeutsche Wälder nach wie vor Fichten-Monokulturen, die durch mehrere Hitzesommer, zunehmende Trockenheit und den allgegenwärtigen Borkenkäfer heute die größten Verluste seit der Wiedervereinigung erleben. 1991 waren immerhin noch 28 Prozent der Waldflächen gesund, 2020 dagegen nur noch 20 Prozent. Thüringen ist deutschlandweit am stärksten betroffen – hier sind nur 15 Prozent der Flächen gesund.
Noch mehr Fläche als der Wald nimmt die Landwirtschaft ein. Sie macht über die Hälfte der Fläche Deutschlands aus. Doch Umweltprobleme sind hier weit weniger augenfällig als im Wald – jedenfalls heute.
In der DDR dagegen verband man mit Bauernhöfen riesige Mastanlagen, Gülle und Gestank – industrielle Landwirtschaft eben. All das verschwand ab 1990 schrittweise durch moderne Anlagen und effizientere Maschinen. Alles gut also? Nicht wirklich. Das zeigt das Vorkommen der meisten Feld- und Wiesenvogelarten.
Die Feldlerche sah man in der DDR häufiger als in Westdeutschland. Heute ist sie gefährdet.
Das Braunkehlchen war ebenfalls im Osten stärker verbreitet als im Westen. Heute gilt der Singvogel laut Roter Liste als „stark gefährdet“.
Auch der Kiebitz steht heute als „stark gefährdet“ auf der Roten Liste.
Die meisten Bestände der sogenannten häufigen Feld- und Wiesenvogelarten sind heute kleiner als 1990, verbunden mit weniger Insekten, Feldhamstern und Hasen. Woran das liegt, lässt sich nirgends besser verstehen als in Ostdeutschland, denn nur hier lassen sich zwei Wirtschaftsweisen im kurzen Zeitabstand vergleichen.
Die DDR musste sich noch weitgehend selbst versorgen. So wurden neben Getreide auch vielfältige Futterpflanzen, Kartoffeln und Rüben angebaut. Die Pflanzenvielfalt sorgte für Artenvielfalt. Außerdem waren Feldarbeit und eingesetzte Maschinen weniger effizient und präzise, Feldränder blieben offener für die Tierwelt.
Das änderte sich ab 1990 schlagartig. Die DDR-Landwirtschaft wurde nach westlichem Bedarf umgebaut und auf Effizienz getrimmt: mehr Weizen, mehr Raps und weniger vielfältige Ackerpflanzen. Dem gegenüber startete immerhin eine Förderung von Brachflächen, die vielen Insekten- und Vogelarten zunächst zugutekam.
Doch heute zeigen sich die Folgen unserer Agrarpolitik. 2007 endete die Brachflächenförderung der EU, gleichzeitig wurden Energiepflanzen für Biosprit gefördert. Was gut fürs Klima sein soll, schadet aber gleichzeitig der Artenvielfalt. Raps, Mais und Weizen, in immer kürzeren Abständen angebaut, bieten kaum noch Lebensraum für Tiere. So führen Monokulturen und immer engere Fruchtfolgen zum Artensterben.
Auch die Probleme mit Gülle, Düngemitteln und Pestiziden sind noch nicht vollständig gelöst. Sie gelangen über den Regen ins Grundwasser, von wo ein Großteil unseres Trinkwassers entnommen wird.
Wasser trägt Schadstoffe von der Luft in den Boden, als Regen oder in Bächen und Flüssen. Dabei geht es den Gewässern in Ostdeutschland heute wesentlich besser als früher.
1990 noch galten einige ostdeutsche Flüsse als „ökologisch zerstört“ – die Kategorie musste von den westdeutschen Behörden erst eingeführt werden. Durch die wirtschaftliche Modernisierung und das Sterben großer Industriebetriebe wandelten sich Flüsse von Abwasserkanälen in vermeintliche Biotope.
Dennoch, laut den strengen EU-Normen ist das sogenannte ökologische Potential der Gewässer schlechter als es sein sollte. Das bedeutet, Lebewesen kehren nur langsam oder gar nicht zurück, Gewässer bekommen schlechte Noten (rot/orange).
Die Europäische Union zielt darauf, dass bis 2027 alle Flüsse auf dieser Karte mit „sehr gut“, also grün markiert sind. Im Einzugsbereich der Elbe, der fast den gesamten Osten abdeckt, sind es 2021 gerade mal 0,3 Prozent. Das ist sogar noch eine Verschlechterung gegenüber der letzten Bewertung 2015 mit 1,2 Prozent.
Hier wird deutlich, menschliche Eingriffe sind nicht so leicht umzukehren, wie viele denken. Besonders in Flusssedimenten lagern sich Schadstoffe ab: Der Boden vergisst nicht.
Die Hauptursache für chemisch belastete Gewässer sind der bis heute laufende Braunkohleabbau, historische Altlasten und verseuchte Böden, wie der unter Bitterfeld-Wolfen.
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Hier in Bitterfeld lud die Chemieindustrie bis 1990 auf einer Fläche von 1.300 Hektar tonnenweise Giftmüll ab, meist in alten Braunkohlegruben direkt neben den Siedlungen. Bitterfeld, das ist einer der größten Grundwasserschäden Deutschlands. An einigen Stellen findet sich die höchste messbare Konzentration an Umweltgiften.
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Keller dürfen hier nur mit großer Vorsicht gebaut werden. Im Chemiepark wird sogar ganz davon abgeraten.
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Die Grube Johannes, heute nur bekannt als Silbersee, war die Deponie der Filmfabrik Wolfen – und umgeben von Wohnhäusern. In bis zu 16 Metern Tiefe steckt in 2,1 Mio. m³ Schlamm ein bunter Mix von Schwermetallen.
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Die Deponie Grube Antonie ist bis zu 20 Meter tief – und besonders problematisch, weil undicht. Hier, wo das Grundwasser durchfließt, liegen 70.000 Tonnen hochgiftige Kohlenwasserstoffe und Reste der Giftstoffe Lindan und DDT.
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50 Pumpen fördern jedes Jahr rund 2 Mio. m³ Grundwasser aus bis zu 30 Metern Tiefe, um es zu reinigen. Ergebnis: 100 Tonnen Schadstoffe pro Jahr. 200 Mio. m³ Grundwasser warten noch auf ihre Sanierung. Geschätzte Kosten: über 2 Mrd. Euro.
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An der Oberfläche soll es kaum noch eine Gefahr für die Bewohner geben. Doch bis heute kommt das Bitterfelder Trinkwasser aus dem Harz.
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50 bis 70 Meter unterhalb Bitterfelds gibt es eine Schicht aus Ton. Bis hier ist der Boden verseucht. Laut Experten ist Bitterfelds Untergrund kaum zu sanieren – zu viele verschiedene Schadstoffe in zu großer Tiefe. Die Sanierung ist eine Aufgabe für Generationen.
Die ökologischen Herausforderungen von heute scheinen nicht so augenfällig zu sein wie jene von 1989, aber sie sind möglicherweise noch tiefgreifender. Das ist sicherlich die wichtigste Erkenntnis aus dem giftigen Erbe der DDR: Ist der Schaden einmal angerichtet, lässt er sich nicht einfach rückgängig machen.